Leuchtpunkt Lehmener Würzlay mit Razejungewingert
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Geschichtliches
Lehmen, zum ersten Male urkundlich erwähnt im Jahr 865 n.Chr. im Zusammenhang mit dem Weinbau, hatte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts zum Handwerkerdorf entwickelt. Vorrangig wurde der Beruf des Bruchsteinmaurers ausgeübt. Da für alle nicht genug Arbeit vorhanden war, mussten viele Männer, um Arbeit zu finden, ausziehen, und an anderer Stelle den Unterhalt für ihre Familien verdienen. Zur Winterszeit kehrten sie wieder zu ihren Familien zurück.
Diese Leute, die aus der wirtschaftlichen Not heraus gezwungen waren, in den meist beschäftigungslosen Wintermonaten den Lebensunterhalt der Familien mit einer zusätzlichen Arbeit zu bestreiten, fanden diese in den Weinbergen, auch Wingerten genannt. Die Arbeit bestand darin, mit der „Raz“ (einer aus Haselnussstöcken geflochtenen Kiepe), Stallmist zur Düngung der Weinstöcke in die Wingerte zu tragen.
Urkundlich sind die Razejungen im Kirchbuch der “Ober Pfarrkirche zu Lehmen” zum ersten Mal 1784 erwähnt worden, als “Mistträger“ im Weingarten der Kirche.
Das Misttragen wurde so zu einem Winterberuf und zu einer zusätzlichen Einnahmequelle für Jungen und Männer. Es war eine sehr anstrengende Arbeit, die die Lehmer Razejungen besonders gut beherrschten. Vor Beginn der Arbeit wurde mit dem Winzer der Lohn ausgehandelt. Für jede getragene Raz wurde eine Kerbe in den „Knüppel“ eingeritzt. Der Knüppel ist der Stock des Razejungen, den er beim Anstieg in den Wingert als Stütze benutzt. Auf diese Weise konnte er sich leicht die Anzahl der getragenen Razen merken und einen Nachweis für seine durchgeführte Arbeit bringen.
Eine Raz voll Mist wog etwa 30 – 40 kg und reichte aus, um etwa 6 Rebstöcke mit ausreichend Dünger zu versorgen. Ungefähr 8 – 10 mal am Tag wurde die gefüllte Raz bis in die höchste “Kuhr“ der Steillagenweinberge getragen. Die Kuhr ist der Gebrauchsname für die Terrassen im Weinberg. Selbst Nachbarorte nahmen die fleißigen Razejungen gern unter Lohn, denn das Misttragen war dort verpönt. Die Lehmer Razejungen ließen sich für ihre Arbeit mehr schlecht als recht für die körperlich schwere Arbeit bezahlen. Sie versetzten sich aber in die Lage, ihre Sankt Castor Kirmes Ende Januar/Anfang Februar feiern zu können. Der Stundenlohn lag damals bei nur 15 Pfg. für Schuljungen, 25 Pfg. für die Jugendlichen und 40 Pfg. für die Erwachsenen.
Alle 4 Jahre halten die heutigen Razejungen die alte Tradition aufrecht, das Düngen der Rebstöcke bei einem Winzer mittels Stallmist unter Zuhilfenahme der Raz. Raz: Die sogenannte Raz (Kiepe), ein Rückentragekorb, wird aus ausgewählten astlosen Haselnussstöcken hergestellt. Diese werden in heißes Wasser eingeweicht und danach geschält. Es folgt die Aufspaltung in schindelähnliche Gerten. Aus diesem Rohmaterial wird dann die Raz geflochten. Die neuzeitlichen Razejungen haben nach alter Tradition Original – Razen gebaut und die Arbeitsschritte auch umfangreich bildlich dokumentiert.
Diese Beschreibung wurde erstellt mit Verwendung von Textauszügen aus der „Razejunge-Chronik“ von Willi Unschuldund Martin Kreckler.
Lehmen, August 2014, Dieter Möhring